Schockzustand.
Es war neblig, mal wieder fuhr ich zum 13. mal nach Vogtareuth in die Tagesklinik der Neuropädiatrie, diesmal mit unserer ganzen Familie und nicht wie die letzten Tage allein mit Tristan.
Seit er ca 3 Jahre alt war, machte ich mir Sorgen um seine Sprachentwicklung, mein Mann und Freunde beruhigten mich immer wieder, ja bis zu dem Zeitpunkt an dem ich Tristan zur Entwicklungsdiagnostik anmeldete. 12 Tage Therapie und Testungen hatten wir hinter uns und heute endlich das Ergebnis, das Abschlussgespräch mit der Ärztin. Ich war mir sicher mit einer Adhs Diagnose nach Hause zu gehen, die Tristans Unruhe erklären würde, nicht toll aber machbar, so schien es mir.
Eigentlich sollte nur 2 Wochen getestet werden, sie benötigten drei weitere Tage, warum wusste ich noch nicht.
Während unsere beiden Jungs betreut wurden, durften wir im Zimmer der Ärztin Platz nehmen. Frau Dr. Lübbig selbst wirkte unsicher, warum wurde mir während des Gesprächs klar. Sie begann zu erzählen, ich hörte Worte wie tiefgreifende Entwicklungsstörung, Sprache auf dem Niveau eines 2.5 Jahre alten Kindes………. AUTISMUS!?!
Hatte sie gerade Autismus gesagt?
Mein Kind ist doch kein Autist?! Er lächelt mich an und kuschelt so friedlich. Ja er spielt gern allein……wie ich früher auch.
Ich hatte das Bild von Raymond Babbit (Dustin Hoffmann in Rainman) im Kopf, ich wusste nichts über Autismus. So war doch mein Sohn nicht, sie mussten sich geirrt haben…..
Irgendwie verließen wir die Klinik, stiegen in das Auto und ich fuhr los, mittlerweile schien die Sonne, der Nebel war nun in meinem Kopf. Nach 10 Minuten bleib ich mit Warnblinklicht am Strassenrand stehen, fing an zu schreien und zu heulen, konnte nicht mehr aufhören. Den Rest der Strecke fuhr mein Mann.
Ich brauchte fast zwei Jahre, um diesen Schock zu verarbeiten. In dieser Zeit wurde ich als Mutter neu geboren, als eine bessere. Ich lernte zu sehen, wer meine Kinder wirklich sind. Ich wählte Therapien und Therapeuten aus, die zu uns passten. Ich glaubte, den Ärzten nicht, was sie mir über mein Kind erzählten.
Ich glaubte nur an eines, an mein Kind!
Zwei Jahre nach der Diagnose wurde Tristan mit knapp 6 Jahren eingeschult, er hatte seine Defizite aufgeholt, seine Sprachverständnisstörung überwunden. 2 Jahre voll mit Therapien und Erfolgen.
Seit dieser Zeit nehme ich nichts mehr als selbstverständlich wahr.
….
Wir waren darauf nicht vorbereitet. Ich hatte Christina monatelang beruhigt, daß Tristans leichte Auffälligkeiten entweder nicht so schlimm, oder schnell therapierbar sind.
Ich saß lächelnd und entspannt mit Christina im Sprechzimmer und hörte der jungen, engagierten Ärztin zu, die von Minute zu Minute ernster wurde.
Sie sprach von unterdurchschnittlichen Testerebnissen bei unserem intelligenten, wachen Kind. Der immer schnell war in allem … Motorik, Auffassungsgabe, Sprache …. Sprache. Und dann fielen die Worte … „tiefgreifende Entwicklungsstörung“. Sie schlugen wie die flache Seite eines Stahlspatens gegen mein Gesicht.
Danach war nichts mehr wie vorher. Wie immer in meinem Leben, wenn wirklich wichtige Dinge passieren, hörte ich trotz Fassungslosigkeit zuende zu, nahm Empfehlungen für weiterführende Diagnostik und Therapie entgegen und versuchte, Struktur und Ausblick inmitten der Betroffenheit zu finden. Aber alles von nun war surreal, unvorbereitet und jeden Tag anders.
Die nächste Station war eine Fachklinik in München für Autismus, die den Verdacht auf tiefgreifende Entwicklungsstörung bestätigt und uns endgültig in die Welt der Autismusbetroffenen geworfen hat.
Dieselbe Klinik hat uns einige Zeit später belächelt und aufklären wollen, als wir im Rahmen der Schuleignungstests ihre Förderschulempfehlung abgelehnt haben, weil unsere und ihre „sachliche“ Wahrnehmung von Tristan nicht übereinanderzubringen war. Wir sind unserer eigenen Verantwortung und unserem Gefühl entgegen ihres klaren Rates gefolgt, und Tristan wird nach diesem Schuljahr als einer der besten Schüler einer Regelgrundschule aufs Gymnasium gehen.
Schön, dass ihr an Euren Sohn und nicht an die Ärzte geglaubte habt & dafür so belohnt wurdet! 🙂
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